Deutschland: Immer mehr Menschen wollen im Wald begraben werden

  • Der erste Waldfriedhof der Schweiz wurde eingerichtet. Gegründet wurde es von Ueli Sauter – dem Sohn eines Steinmetzes und Grabsteinbauers
  • In der Schweiz gibt es derzeit 70 solcher Gebiete. Auch in Deutschland entstehen weitere
  • Der erste Bestattungswald in Deutschland war der im November 2001 eröffnete Reinhardswald bei Kassel. Derzeit gibt das größte Unternehmen der Branche in Deutschland nach eigenen Angaben über 152.000 Stück an. diese Art der Bestattung
  • Auch in Polen wird an der Aktualisierung des Bestattungsgesetzes gearbeitet. Der Regierungsentwurf wurde Ende September veröffentlicht. Es berücksichtigt neben vielen wichtigen Fragen auch die Möglichkeit der Bestattung in der Natur
  • Weitere Informationen finden Sie auf der Onet-Homepage

Es ist ein warmer Oktobernachmittag, der Herbst ist gerade in voller Farbe explodiert. Vorbei an einer im Grünen versteckten ländlichen Sportanlage steige ich die Asphaltstraße zum Hang Richtung Wald hinauf. Auf den ersten Blick sieht es aus wie jedes andere. Wegweiser für Wanderer, Markierungen für Radwege, Treffpunkt für Wochenendtreffen für Läufer. Daneben befindet sich in Form eines Tourismusverbandes eine Informationstafel von Fried-Wald Schönbuch, die sich über die Fläche von 60 Hektar Gräberwald erstreckt. Es gibt keine Grabsteine ​​darin, die Asche wird in biologisch abbaubaren Urnen zwischen die Wurzeln der Bäume gelegt. Seit 20 Jahren erfreut sich diese Art der ewigen Ruhe im deutschsprachigen Raum immer größerer Beliebtheit.

Der berühmteste Schweizer Totengräber

Ueli Sauter ist zwischen den Grabsteinen aufgewachsen. Er wurde 1941 im Nordschweizer Kanton Thurgau geboren. Sein Vater war Steinmetz. Ueli, ein paar Jahre alt, hatte einen Unfall. Ein Grabstein fiel auf sein Bein. Die Verletzungen waren schwer und die Ärzte ordneten die Amputation der Gliedmaße an. Vater war anderer Meinung. „Entweder überlebt der Junge mit zwei Beinen oder er stirbt“, sagte er. Ueli hat überlebt und glaubt, dass sein Vater die richtige Entscheidung getroffen hat.

In seiner Jugend studierte er Elektrotechnik. Er hat sogar ein Unternehmen in dieser Branche gegründet, aber dann passierte etwas, das zum ersten Mal sein Leben veränderte. 1971 überredete er seinen Freund, statt mit dem Auto die Bahn zu nehmen, da dies ein sichereres Kommunikationsmittel ist. Unglaubliches Pech führte dazu, dass der Zug, in dem ein Freund unterwegs war, verunglückte und der Freund ums Leben kam. Sauter schrieb sich in einen Parapsychologiekurs ein und hielt 20 Jahre lang astrologisch-esoterische Seminare. Heute steht er dieser Tätigkeit skeptisch gegenüber und will mit Esoterik nichts zu tun haben, er hält sich für einen Ungläubigen. Aber wie das Schweizer „Tagblatt“ zu sagen pflegte: „Es war eine schöne Zeit.“ Dabei lernte er viele interessante Menschen kennen.

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Einer von ihnen war ein in England lebender Esoteriker. Sein Weggang war die Ursache für eine weitere Wendung in Sauters Leben. Bevor sein Freund starb, äußerte er den Wunsch, dass seine Asche zwischen den Bergen, auf Schweizer Boden ruht. Sauter brachte die Urne mit der Asche aufs Land. Aber er wusste nicht, was er als nächstes tun sollte. Er ging in die Sauna. Als er sie verließ, sagte er zu seiner Frau: „Wir werden eines Tages viel Geld verdienen.“ Sie hat nur gelacht. Das taten auch seine Kollegen, denen er zugab, dass er den Friedhof neu erfunden hatte. Es war 1993.

FriedWald – Der Friedenswald

Eine Informationstafel am Waldrand sagt mir, dass „das Konzept des Ortes unabhängig vom Glauben und frei von sozialen Zwängen ist“. Aus der am Pfosten hängenden Kiste nehme ich eine kostenlose Karte der Umgebung und betrete den Wald. Die Hauptstraße ist asphaltiert, wie auch in anderen Teilen des ältesten Waldnaturparks Baden-Württembergs. Gleich nach dem Betreten schaue ich in eine als „Gebetsstätte“ gekennzeichnete Waldgasse. Es ist eine kleine Lichtung mit ein paar einfachen Bänken aus groben Brettern, die auf seitlich gedrehten Baumstämmen gestützt werden. Entgegen der oben erwähnten Überbekenntnis gibt es auch ein hohes Holzkreuz. Es gibt keine anderen Inschriften, Zitate, Symbole, nur Dickicht und Baumkronen über meinem Kopf.

Ich gehe zurück in die Gasse. Entlang ihm und in den Tiefen des Waldes gibt es kleine schwarze Tafeln mit weißen Inschriften auf Baumstämmen. Sie werden an Nägeln aufgehängt, die in den Kofferraum getrieben wurden. Die runden ähneln den Nummern aus der Garderobe. Es gibt auch größere, rechteckige mit Namen und Geburts- und Sterbedaten. Einige sind zusätzlich mit einem Satz oder Zitat versehen. Von Goethe, von Rilke finde ich ein Fragment des Refrains von Leonard Cohens berühmter „Hymne“ auf Englisch: Da ist ein Riss, ein Riss in allem. So dringt das Licht ein. Auch eingravierte Symbole: ein Vogel im Flug, ein Ginkgoblatt, eine Rose. Der Wunsch, die Natur spurlos zu verschmelzen, bemisst sich an der Betonung der Individualität.

Der Weg biegt ab und führt bergauf. In den in der Verkleidung entstandenen Nischen wird von Zeit zu Zeit eine Holzbank aufgestellt. Wird es von älteren Menschen erreicht? Wer sich im Rollstuhl oder Rollator fortbewegt, hat wenig Chancen. Wer die Toten besuchen will, muss fit bleiben. Der Wald ist wunderschön, gemischt, mit einer Dominanz von Laubbäumen. Sie sind unterschiedlich alt, es gibt uralte, etwa 200 Jahre alte Eichen und Buchen. Wenn die Herbstsonne scheint, leuchtet alles in Gold, Orange und Rot.

Von Start-ups bis Versorger

Saunter brauchte mehrere Jahre, um die Mäander der Schweizer Rechtsordnung zu durchwandern, bis er den ersten „Friedwald“ in seinem eigenen Waldstück im Thurgau errichten konnte.

FriedWald – der Name, den er patentieren ließ – ist ein Wortspiel. Der Friedhof auf Deutsch ist Friedhof (Hof des Friedens – Dwór / Zagroda Pokoju). FriedWald ist also wörtlich ein Wald des Friedens, semantisch ein Wald der ewigen Ruhe, der auch mit Grabwald, Begräbnis- oder Friedhofswald übersetzt werden kann. Derzeit gibt es in der Schweiz 70 solcher Bereiche, die von den Gesellschaftern des Gründers auf Franchisebasis geführt werden. Sie kommen vor allem in den nord- und mitteldeutschen Kantonen vor, in anderen haben sie sich jedoch nicht durchgesetzt. Im Jahr 2000 verkaufte Saunter die Rechte an der Marke FriedWald® nach Deutschland. Der Betrag der Transaktion wurde nicht bekannt gegeben, aber der Verkäufer scheint sein Versprechen gegenüber seiner Frau erfüllt zu haben.

Der erste Bestattungswald in Deutschland war der im November 2001 eröffnete Reinhardswald bei Kassel. Derzeit gibt das größte Unternehmen der Branche in Deutschland nach eigenen Angaben über 152.000 Stück an. diese Art der Bestattung, und über 355 Tausend. in einem der angebotenen Waldgebiete einen Baum oder einen Platz für die zukünftige Rast gebucht haben. Ende 2020 könnten die beiden größten Unternehmen FriedWald und RuheForst in über 140 Waldgebieten in Deutschland Rastplätze anbieten. Neben bundesweiten gibt es auch lokale Unternehmen.

Seit drei Jahren ist es nicht nur eine Tätigkeit privater Unternehmen. 2018 wurde in Brandenburg der erste städtische Bestattungswald errichtet, in dem zuvor sechs private Unternehmen tätig waren. Die Gemeinde Beelitz bei Potsdam hat dafür ein Stück ihres Kiefernwaldes zur Verfügung gestellt. „Ich wollte etwas, das zu uns passt, nicht etwas, das deutschlandweit angeboten wird“, sagte Beelitzer Bürgermeister Bernhardt Knuth dem Tagesspiegel. – „Wir sind Brandenburger, wir sind geprägt von Kiefernwäldern.“ Die Zahl der Gemeinden, die städtische Waldfriedhöfe organisieren, wächst.

In der Schweiz wird die Asche um einen Baum verstreut, in Deutschland und Österreich – dort wo die Idee eines Bestattungswaldes auch angekommen ist – wird sie in biologisch abbaubaren Urnen zwischen die Wurzeln gelegt.

Es gibt keine Kerzen, es singen Vögel

Die Ruhezeit beträgt 99 Jahre. Hängt von dem Gesetz ab, das die Übertragung von Grundstücken zum ewigen Nießbrauch für einen solchen Zeitraum vorsieht. Sie können „Baumgemeinschaft“ wählen – ruhen Sie sich in einer Gruppe von nicht verwandten Personen aus. Sie haben keinen Einfluss darauf, wer später neben demselben Baum begraben wird. „Stammbaum“ oder „Baum der Freunde“ – reserviert für mehrere Urnen derselben Familie oder Gruppe von Freunden, ähnlich wie bei Familiengräbern auf traditionellen Friedhöfen. Ein „individueller Baum“ oder für Partner – mit der Garantie, dass niemand sonst damit begraben wird. Die sogenannte Basisoption mit einer gesetzlich festgelegten kürzeren Ruhezeit von mindestens 15 bzw. 30 Jahren, die durch spezifische Bedingungen bestimmt wird.

Auch die Trauerfeier kann variiert werden. Diese reichen von großen Band- und Live-Musik-Events bis hin zu stillen Beerdigungen in kleinen Gruppen. Sie können einen Bestattungs-, Laien- oder Geistlichensprecher wählen. Weder Protestanten noch die katholische Kirche lehnen Waldbestattungen ab. Obwohl beide Glaubensrichtungen das Konzept der Ruhe in der Natur anfangs stark kritisierten, nehmen jetzt Geistliche an Zeremonien teil, wenn der Verstorbene zuvor Mitglied ihrer Gemeinschaft war.

Was im Friedhofswald nicht erlaubt ist, sind Grabschmuck. Blumenarrangements, Kränze und Kerzen gehören nicht zur natürlichen Umgebung des Waldes – warnt die Verwaltung. Natur und Wald sollen die Traurigkeit lindern: Vogelgesang, das Rascheln der Blätter im Wind und das Knirschen von Ästen tröstet. Der Wald soll so naturnah wie möglich bleiben.

Das Aufkommen einer Alternative zu herkömmlichen Friedhöfen und neuen Elementen der Bestattungskultur erforderte eine Anpassung an das bestehende Gesetz und Gesetzesänderungen.

Büros in Polen

Auch in Polen wird an der Aktualisierung des Bestattungsgesetzes gearbeitet, das aus dem Jahr 1959 stammt und nicht der aktuellen Realität entspricht. Der Regierungsentwurf wurde Ende September veröffentlicht. Es hat jedoch Konkurrenz in Form eines Projekts, das von sozialen Aktivisten geschrieben wurde, um vergessene Friedhöfe zu retten und im Oktober vorgestellt wurde. Sie berücksichtigt neben vielen wichtigen Fragen auch die Möglichkeit der Bestattung in der Natur. Nach Angaben der Projektträger werden in Polen bereits nicht-traditionelle Bestattungsformen praktiziert und dies kann nicht ignoriert werden.


Foto: Rezension

Der Gesetzesentwurf enthält unter anderem die Definition einer Biourna, die verwendet wird, um die Asche zusammen mit den Samen oder einem Setzling eines Baumes oder Strauchs zu enthalten, und eines Gedenkbaums, der aus einer Biourna gewachsen ist, die sich in einem Gedenkgarten befindet, der Teil eines traditionellen Friedhof. Das Bürgerschaftsprojekt geht weiter und schlägt Bestattungen auf Friedhöfen in Landwirtschaft, Wald, Wiesen, Särgen oder biologisch abbaubaren Urnen vor. Sie finden es unter www.niezapomnianecmentarza.pl und können an Konsultationen teilnehmen, die bis zum 20. Januar 2022 dauern.

Ich erreiche den Rand des Hügels, wo er einen weiteren „Ort der Besinnung“ findet. Es bietet einen Panoramablick auf die umliegenden Städte, Ackerland und Bergketten am Horizont. Ein einsamer Radfahrer betrachtet die Aussicht. Er kam hierher, um sich zu erholen. Verwirrt antwortet er, dass vielen Leuten die Idee eines Bestattungswaldes gefiel, weil die Natur sich um die Gräber kümmert und die Toten nicht aus Pflicht besucht werden.

Dies steht im Einklang mit den Ergebnissen von Studien zur immer häufigeren Auswahl des Waldes als Begräbnisstätte. Eine der wiederholten Rechtfertigungen ist die Befreiung der Angehörigen von Kosten und Zeitaufwand für die Grabpflege. Vielleicht ist dieser praktische Aspekt ein tiefes Motiv für den laufenden Wandel. Es eröffnet ein großes Feld für Diskussionen über die Qualität und Formen sozialer Bindungen, zu denen die Friedhofskultur zweifellos gehört.

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Aldrich Vonnegut

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